Mord an Jo Cox: Die Neonazi-Connection

samedi 18 juin 2016

Quittungen des mutmaßlichen Täters
Southern Poverty Law Center

Quittungen des mutmaßlichen Täters

Der mutmaßliche Mörder der Labour-Abgeordneten Jo Cox soll Kontakte zur Neonazi-Szene gehabt haben. Eine Spur führt in die USA. SPIEGEL ONLINE ging ihr nach.

Es war nur eine Ahnung. Der Name kam Mark Potok bekannt vor. Also durchsuchten der renommierte US-Rassismusforscher und sein Team ihr Archiv - und in der Tat: Der Name stimmte überein.

"Es war sogar dieselbe Adresse wie in den britischen Zeitungen", sagt Potok im Interview mit SPIEGEL ONLINE in seinem Büro in Montgomery, der Hauptstadt des US-Bundesstaats Alabama. "Es bestanden keine Zweifel."

Kein Zweifel, dass es sich um den Mann handelt, der des Mordes an der britischen Labour-Abgeordneten Jo Cox beschuldigt wird. Er soll die 41-Jährige am Donnerstag in Birstall in der nordenglischen Grafschaft Yorkshire auf offener Straße niedergestochen und niedergeschossen haben. Sie starb kurz darauf.

Doch was hat der Mann mit den US-Rassismusforschern zu tun? Mark Potok ist der Chef-Rechercheur der Watchdog-Organisation Southern Poverty Law Center (SPLC), sie überwacht rassistische, antisemitische, regierungsfeindliche, terroristische und Neonazi-Gruppen in den USA - sowie ihre Unterstützer. Und einer dieser Unterstützer war offenbar auch Jo Cox' mutmaßlicher Mörder.

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Im SPLC-Archiv fanden sich Cox zufolge Dokumente, die belegen, dass der Mann ein "langjähriger Unterstützer" der National Alliance (NA) gewesen sei, der einst größten Neonazi-Gruppe der USA. So habe er von 1999 bis 2003 mehr als 620 Dollar an die inzwischen zersplitterte Organisation überwiesen, meist für Publikationen aus dem hauseigenen Buchverlag National Vanguard.

Der mutmaßliche Täter habe Neonazi-Magazine abonniert sowie Gebrauchsanleitungen für den Eigenbau von Schusswaffen und Sprengsätzen gekauft. Zum Beispiel ein Buch mit einer Anleitung zur Konstruktion einer .38-Kaliber-Pistole aus Materialien, wie sie in jedem normalen Haushaltswarenladen erhältlich seien.

Die Bekanntgabe der SPLC-Funde waren die ersten Hinweise auf eine Neonazi-Connection des mutmaßlichen Täters - die ersten Puzzlestücke zur Rekonstruktion der Tat und des Tatmotivs. Britische Behörden sollen in der Wohnung des 52-Jährigen Indizien gefunden haben, die dies bestätigen - auch jene Publikationen, die er damals bei der NA in West Virginia bestellt haben soll.

Potok zeigte SPIEGEL ONLINE Kopien von Kaufquittungen, die auf den Namen und Adresse des Mannes ausgestellt sind. Eine Quittung vom 13. Mai 1999 listet Titel wie "Chemistry of Powder & Explosives" (12,95 Dollar), "Improvised Munitions Handbook" (9,95 Dollar), "Incendiaries" ("Brandbomben", 5,95 Dollar) und "Ich kämpfe" (19,95 Dollar) auf, Letzteres der Name einer NSDAP-Broschüre. Andere sind für "NA-Abonnements" ausgestellt.

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Die Quittungen befänden sich schon länger im SPLC-Archiv, sagt Potok. Wie das Center in ihren Besitz gekommen sei, wolle er jedoch nicht sagen. Solche Unterlagen würden dem SPLC oft von Insidern aus den fraglichen Gruppen zugespielt, aus Rache oder anderen Gründen. Sollten die britischen Behörden sie anfordern, werde man sie ihnen selbstverständlich übergeben.

Die NA war lange die größte und gefährlichste Neonazi-Gruppe der USA. Sie propagierte den Massenmord an Juden und ein "rein weißes Heimatland". Ihr Gründer William Pierce verfasste den rassistischen Roman "The Turner Diaries", ein Manifest für viele Rechtsradikale - darunter Timothy McVeigh, der 1994 in Oklahoma City ein Regierungsgebäude in die Luft sprengte und dabei 168 Menschen umbrachte. Nach Pierces Tod 2002 zerfiel die National Alliance und ist heute nach Angaben des SPLC "so gut wie irrelevant".

Die Neonazi-Verbindung zum Cox-Mord zeigt sich aber auch noch auf andere Weise: Amerikas rechtsradikale Szene habe auf die Tat "mit einer Mischung aus blutrünstigem Vergnügen" und "unglaublichen Beschimpfungen des Opfers" reagiert, sagte Potok. Wie er auch auf seinem Blog beschreibt, hätten viele der aktiven Organisationen ihrer Freude über den Mord Ausdruck gegeben. Potok zitiert Neonazi-Hassforen und Websites von Splittergruppen des Ku-Klux-Klans, auf denen auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und der britische Premierminister David Cameron als "Verräter" bezeichnet wurden.

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