EM-Spiele ohne Fans in den Stadien? Für die Sicherheitsbehörden scheint das eine Option zu sein. Eine Fan-Organisation hat andere Ideen, um für mehr Sicherheit zu sorgen.
Terrorwarnungen, Streiks - und jetzt Gewalt, kurz vor dem Beginn der Europameisterschaft sind die Sorgen groß. Am Abend vor dem Eröffnungsspiel in Paris ist es in Marseille zu schweren Ausschreitungen gekommen: Englische Fans haben sich Schlägereien mit organisierten Anhängergruppen des ortsansässigen Klubs Olympique und einheimischen Jugendlichen geliefert.
Wie es dazu gekommen ist, blieb zunächst unklar: Während einige Quellen von gezielten Angriffen der Marseiller schreiben, mutmaßen andere die Ursache in provokanten Gesängen der Engländer wie "ISIS, wo bist du?". Die Polizei setzte Tränengas ein, um die Gruppen zu trennen. Das befeuert noch vor dem Turnierstart Spekulationen über weitere Zwischenfälle, die folgen könnten. Am Samstag trifft England in Marseille auf Russland (21 Uhr, High-Liveticker SPIEGEL ONLINE).In der Vergangenheit wurden vor großen Turnieren immer wieder Vorfälle wie der Angriff auf den Polizisten Daniel Nivel zur WM 1998 als Aufhänger für Hysterie genommen. In vielen Ländern nehme man das mittlerweile relativ gelassen zur Kenntnis, sagte Daniela Wurbs, Geschäftsführerin des Netzwerks "Football Supporters Europe" (FSE), im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Gewalt unter Fans dürfe man zwar nicht ignorieren, für Anhänger, die schon länger zu internationalen Turnieren reisen, sei es aber auch nichts komplett Neues.
Fehlverhalten der Polizei vermittelt vielen Leuten Angst
Wurbs lenkt den Fokus auf einen anderen Punkt: "Große Sorge bereite vielen Fans momentan eher das Verhalten der französischen Polizei im Zuge der Streiks und sozialen Proteste." Das in den vergangenen Wochen medial dokumentierte Fehlverhalten vermittle vielen Leuten Angst. In einem der aufsehenerregendsten Fälle verlor ein 28-jähriger Demonstrant am 26. Mai nach einem Protest gegen das neue Arbeitsgesetz das Bewusstsein, als ein Polizist eine Schockgranate in eine Menschenmenge warf. Der Mann liegt seitdem im Koma.
Seit einiger Zeit beschäftigt die Fanaktivisten aber noch ein weiteres Thema.
Es gibt das Gerücht, dass einzelne Spiele der Europameisterschaft aufgrund von Sicherheitsbedenken im Zweifelsfall ohne Fans ausgetragen werden könnten. Pierre Barthelemy, Anwalt und Sprecher der mit FSE kooperierenden französischen Fanorganisation "Association Nationale des Supporters" bestätigt das SPIEGEL ONLINE: "Ich weiß, dass es eine Option ist, die EM ohne Fans zu spielen." Auch wenn er keine konkreten Informationen über einen geplanten Anschlag habe, weiß er, dass es eine starke Annahme der französischen Behörden ist.
Was die Uefa angehe, sei der Informationsstand dazu aufgrund verschiedener Aussagen von Verbandsoffiziellen eher widersprüchlich. Seitens der französischen Behörden könne man sich aber durchaus vorstellen, dass ein Turnier ohne Zuschauer im Fall der Fälle in Erwägung gezogen wird, so Wurbs.
Fanbotschaften sollen friedliche Atmosphäre herstellen
Demgegenüber steht die Arbeit von FSE. Das Augenmerk liegt vor allem auf den "Fanbotschaften". Diese werden am Rande der Partien von Fans der jeweiligen Nationalmannschaften organisiert und sollen sowohl Anlaufpunkt mit praktischen Reisetipps als auch Unterstützungsstelle im Krisenfall sein.
Es geht darum, "möglichst gastfreundliche Aufenthaltsbedingungen für Fans und Besucher" zu schaffen und bei eintretenden Problemen "als Vermittlungsinstanz zwischen Fans und Behörden" aufzutreten, sagt Wurbs. Deswegen besäße die von der Europäischen Union unterstützte Organisation einen direkten Kommunikationskanal zu den Veranstaltern des Turniers. Treffen zwischen Fanbotschaftsmitarbeitern und Uefa-Sicherheitsbeauftragten seien zum gemeinsamen Austausch vor den einzelnen Spielen fest eingeplant.Insgesamt wird es neunzehn dieser Fanbotschaften geben. Infobroschüren samt dazugehöriger mobiler App, Fanfreundschaftsspiele und Veranstaltungen zu Themen wie Antidiskriminierung, Fankulturen oder sportlichen Großveranstaltungen sollen zusätzlich für Aufklärung und eine friedliche Atmosphäre sorgen. Dadurch soll auch die allgemeine Sicherheitslage der EM verbessert werden.
Denn laut des Selbstverständnisses von FSE haben sich die Fanbotschaften seit ihren Anfängen vor 26 Jahren als wertvolle und bedeutsame Ergänzung zu herkömmlichen Sicherheitskonzepten bei Fußball-Großveranstaltungen erwiesen. Und damit bleibt auch die Hoffnung, dass bei allen Spielen Fans in den Stadien sein werden.
Video: Sicherheit - Gemischte Gefühle bei den Fans
0 commentaires:
Enregistrer un commentaire