Papst Franziskus als Kapitalismuskritiker: Der Herz-Jesu-Sozialist

dimanche 29 mai 2016

Papst Franziskus

Papst Franziskus

Er kämpft gegen Hungerlöhne, Ausbeutung und Ungleichheit: Noch nie war ein Papst so links wie dieser. Ist er ein Revolutionär? Nein, sagt Franziskus. Nur ein Gläubiger.

Es war bei einer Frühmesse im vatikanischen Gästehaus Casa Santa Marta. Dort, wo auch der Papst wohnt und gerne mit Gästen aus aller Welt frühstückt und betet. Franziskus sprach über die Arbeitsmarktreformen, die in den vergangenen Jahren in vielen Ländern durchgesetzt wurden. "Abbau von Beschäftigungshemmnissen", nennen Politiker das gerne. Der Papst freilich befand diese "Modernisierung" nicht segensreich, sondern abartig.

Ganz besonders geißelte er die kurzfristigen Arbeitsverträge, die im Zuge der Reformen allenthalben eingeführt wurden. "Modernes Sklaventum" sei das. "Auf der ganzen Welt passiert das Gleiche", zitierte Radio Vatikan den Papst. "Ich will arbeiten - gut; sie bieten dir einen Vertrag an. Von September bis Juni. Ohne die Möglichkeit einer Rente, ohne Krankenversicherung.… Im Juni setzen sie den Vertrag aus, im Juli und August muss der Arbeitnehmer Luft essen. Und im September bekommt er den Vertrag wieder. Die, die das machen, sind wahre Blutsauger und leben von den Blutspenden der Menschen, die sie zu Arbeitssklaven machen."

Blutsauger? Arbeitssklaven? So sprechen katholische Oberpriester gewöhnlich nicht. Das ist eher der Duktus linker Revolutionäre. Wie kommt Franziskus dazu?

Gewiss, es gab auch in der katholischen Kirche immer wieder linkere Strömungen, etwa in der südamerikanischen Befreiungstheologie oder der katholischen Soziallehre, die in Europa eine Weile erheblichen politischen Stellenwert hatte und in Deutschland durch die CDU-Sozialausschüsse stark vertreten war. Doch seit dem Siegeszug des globalisierten Kapitalismus galten die Herz-Jesu-Sozialisten eigentlich als weitgehend ausgestorben.

Woher also hat der Papst jenes revolutionäre Vokabular? Na, aus der Bibel, sagt er.

Auch die unsittlichen Arbeitsverträge würden schon in der Bibel verurteilt, sagte Franziskus bei seiner kämpferischen Blutsauger-Rede zur Morgenmesse und las aus dem Jakobusbrief vor, wonach "die Schreie" der geknechteten Arbeiter bis an Gottes Ohr drangen.

Am Tag zuvor hatte er eine andere Bibelstelle genutzt, nämlich die über den reichen Mann und den armen Lazarus, um die Geldgier der Arbeitgeber zu geißeln: "Menschen zu einem Hungerlohn arbeiten zu lassen, um selbst Profit daraus zu ziehen. Vom Blut dieser Menschen leben. Das ist Todsünde!"

Der Einmischer

So redet er oft. Denn Franziskus will sich einmischen. Nicht nur in seiner Kirche, in der es viel aufzuräumen gibt. Sondern überall in der Welt, bei allen Themen. Konstruktiv, wenn es möglich ist. So hat er die Annäherung zwischen den USA und Kuba moderiert, ist involviert in der Suche nach Aufnahmeländern für unschuldige Guantánamo-Häftlinge.

Oder eben plakativ, wo er auf Ablehnung stößt: Er verurteilt die Todesstrafe, aber auch die lebenslange Inhaftierung von Straftätern. Er fordert mehr Bildung, Emanzipation, Gerechtigkeit.

Eine "gerechte, solidarische Welt" sei sein Leitmotiv, sagte er am Weltjugendtag 2013 in Rio de Janeiro in einer Favela. Deshalb attackiert er die ungerechte weltweite Wirtschaftsordnung besonders oft.

Papst Franziskus 2013 in einer Favela in Rio

Papst Franziskus 2013 in einer Favela in Rio

Als sich im Januar eine globale Elite aus Managern, Politikern und Wissenschaftlern in Davos zum Weltwirtschaftsforum versammelte, erinnerte er Anfang daran, dass die dort vielgerühmte "vierte industrielle Revolution" - also die Digitalisierung der Wirtschaft - viel Elend und Arbeitslosigkeit verursache. Die Entscheidungsträger sollten "neue Modelle unternehmerischer Tätigkeit" entwerfen, in denen fortgeschrittene Technologien imstande seien, "würdevolle Arbeit für alle zu schaffen, soziale Rechte aufrecht zu erhalten und zu festigen, sowie die Umwelt zu schützen".

Nun ist es ja nicht so, dass Politiker wegen Franziskus' Worten reihenweise umkehren und sich plötzlich Gerechtigkeit auf ihre Fahnen schreiben. Oder die Bosse auf ihre Millionen-Boni verzichten, um die Entlassung von einigen Dutzend Menschen zu vermeiden. Doch der Papst bringt immerhin Themen auf, die schon als unmodern abgehakt waren. Er bringt sie in die Medien, aber auch zu den Betroffenen.

Er fährt nach Terni, in Mittelitalien, wo der deutsche ThyssenKrupp-Konzern das dortige Stahlwerk gekauft hat und Hunderte Arbeiter nun um ihren Job bangen müssen. "Mit Arbeitsplätzen spielt man nicht", zürnt er im Ton eines Gewerkschaftsführers.

Papst Franziskus bei einem Besuch der Stahlarbeiter in Terni
DPA/OSSERVATORE ROMANO

Papst Franziskus bei einem Besuch der Stahlarbeiter in Terni

In Sardinien, wo viele Menschen durch die Finanzkrise arbeitslos wurden und dasselbe Schicksal jetzt vielen weiteren droht, ruft er kämpferisch in die Menge "Lasst uns sagen: Wir wollen ein gerechtes System! Ein System, das uns alle weiterbringt". Und: "Lasst uns sagen: Wir wollen dieses globalisierte Wirtschaftssystem nicht, das uns schadet."

"Diese Wirtschaft tötet"

Vieles, was Franziskus an den Märkten und in den Unternehmen, aber auch in den Medien nicht in Ordnung findet, weil es gegen die ethischen Grundprinzipien des Christentums verstoße, hat er in seinem Lehrschreiben "Evangelii Gaudium" aufgelistet. So heißt es darin, zum Beispiel:

  • "Nein zu einer Wirtschaft der Ausschließung und der Disparität der Einkommen"; es sei doch "unglaublich, dass es kein Aufsehen erregt, wenn ein alter Mann, der gezwungen ist, auf der Straße zu leben, erfriert, während ein Kursverlust um zwei Punkte an der Börse Schlagzeilen macht."
  • "Nein zu einem Geld, das regiert, statt zu dienen." Denn "während die Einkommen einiger weniger exponentiell steigen, sind die der Mehrheit immer weiter entfernt vom Wohlstand dieser glücklichen Minderheit. Es entsteht eine neue, unsichtbare, manchmal virtuelle Tyrannei, die einseitig und unerbittlich ihre Gesetze und ihre Regeln aufzwingt."
  • "Nein zur sozialen Ungleichheit" in und zwischen den Gesellschaften, denn die mache es "unmöglich, die Gewalt auszumerzen". Ohne Hoffnung und ohne Chancengleichheit "finden Aggression und Krieg einen fruchtbaren Boden, der früher oder später die Explosion verursacht".

"Wie vor ihm nur Karl Marx"

"Der Papst liebt alle, Reiche und Arme", heißt es ebenfalls in Franziskus' Lehrschreiben. Doch habe er "im Namen Christi die Pflicht, daran zu erinnern, dass die Reichen den Armen helfen, sie achten und fördern müssen." Deshalb mahnt der Katholiken-Chef die Reichen dieser Welt zu einer Rückkehr von Wirtschaft und Finanzleben zu einer Ethik zugunsten des Menschen. Denn: "Die Ungleichverteilung der Einkünfte ist die Wurzel der sozialen Übel."

Solche Sätze gefallen nicht allen, auch nicht in der katholischen Kirche. Was kann der Oberpriester in Rom uns schon groß antun? Die orthodoxe Kardinalstruppe in der römischen Kurie ringt die Hände über solch aufrührerisches Gerede. Andere regen sich laut und heftig auf. "Haarsträubend" sei, "was der Heilige Vater über den Kapitalismus von sich gibt", entrüstete sich beispielsweise der Chefkommentator der Zeitung "Die Welt", Jacques Schuster. "Dass seine Aussagen nicht zu belegen sind, stört ihn nicht", schrieb der Journalist. "Geht es um die freie Marktwirtschaft, gehört der Nachfolger Petri plötzlich nicht mehr zu den Zarten, den Suchenden. Er weiß Bescheid, ein für alle Mal - so wie vor ihm nur Karl Marx." Und all jene, die ihn "als Vorkämpfer in der Armee der Weltverbesserer" bewunderten, die seien "naiv".

Solche Naivlinge gibt es offenbar sehr viele. Allein bei Twitter folgen mehr als 17 Millionen Menschen dem Nutzer @Pontifex, um regelmäßig päpstliche Zeilen zu aktuellen Ereignissen oder auch ein Kurzgebet zu empfangen. Vor allem im spanischen und englischen Sprachraum hat Franziskus viele Follower. Im deutschen Segment sind es eher wenige, rund 230.000. Dagegen ist sogar der Dienst in Latein populärer. Den haben mehr als 300.000 Menschen abonniert.

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