Sigmar Gabriel hat im Bundestag TTIP-Kritiker zur Vernunft gerufen: Der Handelspakt werde EU-Interessen schützen, versprach der Vizekanzler. An ein rasches Ende der Verhandlungen glaubt er aber nicht.
Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) hat am Mittwoch einen zeitnahen Abschluss der TTIP-Verhandlungen angezweifelt. Gleichzeitig appellierte er an Kritiker des europäisch-amerikanischen Freihandelsabkommens, sich sachlich und vernünftig an der Debatte zu beteiligen.
"Es gilt nicht 'schnell vor gut', sondern 'gut vor schnell'", sagte Gabriel im Bundestag. Die Gespräche über den Handelspakt seien weiterhin kompliziert. "Mir fehlt die Phantasie, zu sehen, wie das in diesem Jahr geschafft werden soll", so der SPD-Chef weiter. Einen Abbruch der Verhandlungen lehnte er aber ausdrücklich ab.Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte zuletzt einen raschen Erfolg von TTIP angemahnt.
Eigentlich soll 2016 ein Vertragstext stehen, doch fertig verhandelt sind bislang nur die wenigsten Punkte. Das war in der vergangen Woche auch durch umfangreiche TTIP-Enthüllungen der Umweltorganisation Greenpeace deutlich geworden.
Abschriften von geheimen Verhandlungstexten zeigten, dass die Positionen von USA und der EU teilweise stark voneinander abweichen. Die Enthüllungen schürten neue Zweifel, ob das Vorhaben überhaupt noch realistisch ist.
Gabriel: "Man muss Mumm haben"
Die Grünen hatten daraufhin eine Aktuelle Stunde im Parlament verlangt. In dem Format argumentieren Abgeordnete oder Minister öffentlich, Zwischenfragen sind nicht erlaubt. "Je mehr Menschen über TTIP Bescheid wissen, desto mehr werden sie dagegen sein", sagte Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter. Die Sorgen der Bürger seien berechtigt, die Landwirtschaft werde verraten und verkauft, die Interessen von Wirtschaftslobbyisten würden gestärkt.
Gabriel entgegnete am Rednerpult, dass er weiterhin am Handelspakt festhalte. "Wir sind angewiesen auf offene Märkte, aber sie brauchen gute Regeln", sagte er. "TTIP, so wie es sich die Amerikaner vorstellen, darf und wird es nicht geben", versprach er. Er kritisierte das Beharren der USA, öffentliche Ausschreibungen nicht für Unternehmen aus Europa freigeben zu wollen.
Den Vorwurf der Geheimniskrämerei wies er zurück. Auch dürfe man nicht immer nur sagen, was man nicht wolle, sondern auch dafür kämpfen, was in das Handelsabkommen an Inhalten hineinkomme: "Dazu muss man auch den Mumm haben. Ich habe keine Angst vor Verhandlungen".
Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht reagiert wütend: "Sie täuschen die Öffentlichkeit und spielen uns was vor", sagte sie im Bundestag. "TTIP bringt Chemie in unsere Hautcremes und Gifte in unser Kinderspielzeug".
Wagenknecht rief die Bundesregierung zu einem TTIP-Boykott auf. "Wo ist das öffentliche Nein von Frau Merkel? Stattdessen gibt es inszenierte Kuscheltage mit Obama in der Dauerwerbeschleife", sagte sie weiter, "ich finde das oberpeinlich".
Vom TTIP-Fetisch bis zum Strip-Poker
Die Debatte schwankte zwischen scharfen Angriffen und Klamauk. Der Transatlantik-Beauftragte der Bundesregierung, Jürgen Hardt (CDU), warf Grünen und Linken einen "TTIP-Fetisch" vor. Kritiker des Handelspakts stünden in einer Reihe mit Donald Trump, Verschwörungstheoretikern und der Alternative für Deutschland (AfD).
Der CDU-Abgeordnete Ingbert Liebing sagte an die Opposition gerichtet: "Schade für die Zeit, die Sie hier im Parlament verbrauchen".
Und der SPD-Abgeordnete Hans-Joachim Schabedoth verteidigte TTIP-Gespräche hinter verschlossenen Türen mit folgenden Worten: "Wenn man seine Verhandlungsposition offenlegen würde, wäre das wie nackt zum Strip-Poker anzutreten".
Die EU-Kommission und die US-Regierung verhandeln bereits seit 2013 über das geplante Abkommen. Es soll der Wirtschaft auf beiden Seiten des Atlantiks einen enormen Schub geben, indem Zölle und andere Handelshemmnisse abgebaut werden.Kritiker befürchten, dass mit dem transatlantischen Freihandelsabkommen Standards im Verbraucher- und Umweltschutz gesenkt werden und die Gentechnik in Europa Einzug hält. Die Mehrheit der Bürger in Deutschland lehnt TTIP laut Umfragen derzeit ab.
Erreicht man keine Einigung in diesem Jahr, wird es zeitlich eng: Die Wahlen in den USA, in Frankreich und in Deutschland dürften es erschweren, die Verhandlungen am Laufen zu halten. Auch muss noch Zeit für die Ratifizierung eingeplant werden - die nationalen Parlamente in der EU müssten dem Abkommen am Ende wahrscheinlich zustimmen.
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