Beim G7-Gipfel probt die Kanzlerin das Rollenspiel für den Wahlkampf. Schluss mit Merkel der sanften Großmütigen, her mit Merkel der rastlos Geschäftigen. Das Problem: Wem sollen die Bürger glauben?
Wenig Zeit? Am Textende gibt's eine Zusammenfassung.
Die Falle, die Japans Premierminister Shinzo Abe der Kanzlerin gestellt hatte, kam als Erzeugnis der landeseigenen Hochtechnologie daher: Ein selbstfahrendes Auto, das Angela Merkel beim Weltwirtschaftsgipfel auf der Ferieninsel Ise-Shima zum nächsten Konferenzort bringen sollte. Die deutsche Regierungschefin unterwegs in einem Produkt der ärgsten Konkurrenten von BMW, Daimler und Co.? Ein solches Foto galt es, unbedingt zu vermeiden. Und so schlenderte die Kanzlerin gemeinsam mit Frankreichs Präsident François Hollande zu Fuß über die sorgsam gepflegten Grünflächen des Gipfelgeländes.
Nichts kann Merkel derzeit so wenig gebrauchen wie falsche Bilder. Fotos mit japanischen Autos genauso wenig wie Neuauflagen jener Flüchtlings-Selfies, die für ihre Willkommenspolitik des vergangenen Herbstes standen. Damit aber ist es vorbei, seit ihre Beliebtheit im Volk drastisch geschwunden ist. Und so probt die Kanzlerin nun das Rollenspiel für den Wahlkampf des kommenden Jahres: Aus Merkel, der Großmütigen, soll wieder Merkel, die Geschäftige werden.In einer Art Endlos-Schleife produziert sie in diesen Tagen Bilder, die sie in ihrer Paraderolle als rastlos-professionelle Regierungsarbeiterin zeigen: als ambitionierte Moderatorin bei einer ambitionslosen Kabinettsklausur im brandenburgischen Meeseberg, als großzügige Mäzenin der Autoindustrie auf dem Berliner E-Mobility-Gipfel, als Freundin in der Not für den politisch angeschlagenen Hollande, mit dem sie am kommenden Wochenende die Gräberfelder Verduns besuchen will.
Die Gipfelmaschine - so eloquent wie erfahren
Merkels Programm besteht darin, der Hysterie der jüngsten deutschen Flüchtlingsdebatte die gewohnte Langeweile der internationalen Gesprächsdiplomatie entgegenzusetzen. Auf dem laufenden G7-Treffen präsentiert sie sich als gleichermaßen eloquente wie erfahrene Gipfel-Maschine, die beim traditionellen Familienfoto locker mit Barack Obama schäkert, um bei den sogenannten "Arbeitssitzungen" umso verbissener deutsche Interessen zu verteidigen - oder das, was in der Welt der Abschlusskommuniques dafür gehalten wird: der Begriff "Konjunkturprogramm" wurde erfolgreich aus dem Dokument verbannt, das Wort "Wachstum" dafür auf deutschen Druck um das Wörtchen "nachhaltig" ergänzt. So sehen die Siege aus, die nicht unbedingt auf den Titel des "Time"-Magazins, aber erneut ins Kanzleramt führen sollen.
Den Krieg um Europas Kurs in der Flüchtlingspolitik hat Merkel verloren, seit die Balkanstaaten die Grenzen gegen ihren Willen geschlossen halten und der Türkei-Deal wackelt. Aber es gibt ja noch immer Schlachten zu gewinnen. Und so registriert sie beim jüngsten G7-Treffen beglückt, dass Kanadas jugendlich-liberaler Regierungschef Justin Trudeau ein paar Tausend Bürgerkriegsopfer zusätzlich aufnehmen will und die übrigen G7-Staaten signalisieren, dass sie eine von Merkels Lieblingsvokabeln zu übernehmen gedenken: die "Bekämpfung von Fluchtursachen".
Welches Bild der Kanzlerin ist das richtige?
Merkel ist die am längsten amtierende Regierungschefin im Kreis der großen Industrienationen, sie hat die Finanzkrise gemanagt und die Eurozone zusammengehalten: Aber jetzt probiert sie noch einmal etwas völlig neues, einen Wahlkampf nach Art einer Dia-Show. Die Flüchtlingskanzlerin wird weggeknipst, stattdessen flimmert wieder die Königin der kleinen Schritte über die Leinwand.Das Problem ist nur, dass sich die Bürger längst fragen, welches Bild das richtige ist. Ist es jene Kanzlerin, die vor gar nicht langer Zeit davon sprach, dass Deutschland nicht mehr ihr Land sei, wenn man sich dafür entschuldigen müsse, "in Notsituationen ein freundliches Gesicht zu zeigen". Oder ist die wahre Kanzlerin jene, die den Flüchtlingen an der geschlossenen Grenze von Idomeni vor ein paar Wochen empfahl, sie sollten sich "eine Wohnung in Griechenland suchen".
Die Frage hat Merkel auch bei ihrem jüngsten Auftritt auf dem Weltwirtschaftsgipfel nicht beantwortet. Damit aber, soviel ist gewiss, wird sie bis zum Wahltag nicht durchkommen.
Zusammengefasst: Beim G7-Gipfel versucht Angela Merkel ihre jüngsten Niederlagen, etwa in der Flüchtlingskrise, zu überspielen. Sie gibt sich ganz als Machtpolitikerin, die auf internationalem Parkett problemlos klarkommt. Wenig scheint noch übrig vom Kümmererimage der letzten Zeit. Bei den Wählern dürfte das für einige Verwirrung sorgen.
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