Miese Umfragen, Spekulationen zur K-Frage, Gerüchte über einen Rückzug: SPD-Chef Gabriel steht unter Druck wie nie. Verzweifelt ringt die Partei um die Trendwende - der Glaube daran schwindet.
Der Stammtisch ist nicht der Ort für vornehme Zurückhaltung. Hier wird nicht sorgsam abgewogen, hier sind klare Botschaften gefragt. Das Gerücht kann da schnell zum Fakt erhoben werden. So war es womöglich auch, als Helmut Markwort bei seinem "Sonntags-Stammtisch" im Bayerischen Rundfunk verbreitete, dass sich Sigmar Gabriel am Montag als SPD-Chef zurückziehen werde. Die Info komme aus "zuverlässiger Quelle". Aus einer "Top-Quelle".
Nun ist Markwort nicht irgendwer, der Mann war immerhin 17 Jahre lang Chefredakteur des "Focus", heute ist er dessen Herausgeber. Wenn so einer mal eben live im Fernsehen voller Selbstüberzeugung den Rücktritt des SPD-Vorsitzenden samt Nachfolge-Regelung (Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz als Parteichef, EU-Parlamentspräsident Martin Schulz als Kanzlerkandidat) zur beschlossenen Sache erklärt, dann sorgt das im politischen Berlin durchaus für erhöhten Pulsschlag.Die SPD-Zentrale sah sich jedenfalls am Sonntag mit etlichen Nachfragen konfrontiert. Wohlwissend, dass das glaubwürdige Dementi solcher Gerüchte gar nicht so einfach ist, versuchte das Willy-Brandt-Haus sie möglichst klar zurückzuweisen: Als "Schwachsinn" oder "totaler Unfug" wurde Markworts Szenario bezeichnet. SPD-Vize Ralf Stegner spottete: "Da hat Herr Markwort in München wohl zu viel Sonne abbekommen." Der angebliche Nachfolger Scholz sagte der ARD: "Das ist absoluter Quatsch."
Der SPD-Kommunikationsleiter und Gabriel-Vertraute Tobias Dünow versuchte es auf Twitter mit Ironie:
Dünow ist gerade erst von seinem Sprecherposten in Gabriels Bundeswirtschaftsministerium in die Parteizentrale gewechselt - was eher ein Zeichen dafür ist, dass sein Chef nicht an Rückzug denkt. Dünow legte sogar noch einmal nach:
So deutet also alles daraufhin, dass Gabriel die Sozialdemokraten weiter anführen wird. Wenn es allerdings noch eines Beleges bedurft hätte, wie ernst die Lage der Genossen und die ihres Vorsitzenden tatsächlich ist, dann wurde er an diesem Sonntag wohl erbracht. Ganz gleich, woher die Gerüchte kommen, ob sie bewusst lanciert wurden, aus der Partei selbst oder von anderen interessierten Kreisen - der Rückzug des SPD-Vorsitzenden wird längst nicht für unmöglich gehalten.
Gabriel und die SPD befinden sich seit Wochen in einem Abwärtssog, aus dem sie sich verzweifelt, aber bislang ohne jeden Erfolg zu befreien versuchen. Bei den letzten Landtagswahlen gab es üble Schlappen in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt, allein Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz wirkte mit ihrem Last-Minute-Sieg als Stimmungsaufheller. In den bundesweiten Umfragen droht die einst so stolze SPD die 20-Prozent-Marke zu reißen, von hinten rückt die AfD immer näher. Auch Gabriels persönliche Popularitätswerte sind im Keller.
Dabei ist die Ausgangslage gar nicht schlecht: In der Großen Koalition haben die Sozialdemokraten vom Mindestlohn bis zur Rente mit 63 viele ihrer Lieblingsprojekte durchgesetzt. Zudem schwächeln auch Kanzlerin Angela Merkel und die Union, CDU und CSU liefern sich einen nervenaufreibenden Geschwisterstreit. Doch die SPD kann einfach nicht profitieren. Auch ein wirksames Rezept gegen die AfD hat man, genau wie die Union, bisher nicht gefunden.
Krankheitspause befeuert Spekulationen
Klar, dass die Genossen da nach der Verantwortung des Vorsitzenden fragen. Beim Parteitag im Dezember wurde Gabriel mit nur 74 Prozent wiedergewählt, seither ist die Stimmung nicht besser geworden. Im Gegenteil. Im hessischen Odenwald forderte der SPD-Unterbezirk jüngst mit Dreiviertelmehrheit die Abwahl Gabriels - nur eine Momentaufnahme, aber auch ein Alarmsignal.
Gabriel weiß, dass viele in der SPD über ihn so denken wie die Parteifreunde im Odenwald. Sie halten ihn wahlweise für unstet oder für zu rechts - auf jeden Fall aber nicht für einen geeigneten Kanzlerkandidaten. Er weiß auch, dass die potenziellen Alternativen Steinmeier, Scholz oder Schulz ihm bei der Bundestagswahl 2017 nicht deshalb das erste Zugriffsrecht lassen, weil sie glauben, dass er der bessere sei. Nein, sie bewerten die Lage schlichtweg als aussichtslos und wollen nicht als sichere Verlierer gegen Merkel in den Wahlkampf ziehen. Wenn aber kein anderer will, dann muss es Gabriel machen. Es sei denn, er wirft hin und zwingt damit einen anderen in die Verantwortung.
So weit ist Gabriel offenbar noch nicht. In der vergangenen Woche aber hatte er viel Zeit, darüber nachzudenken, wie es weitergehen soll. Eine schmerzhafte Gürtelrose zwang den SPD-Chef zu einer Pause, der Wirtschaftsminister musste eine wichtige Iran-Reise platzen lassen, viele Termine absagen.
In der schwierigen Situation diente auch die Krankheit als Anlass zur Spekulation: "SPD sorgt sich um Sigmar Gabriel", schlagzeilte die "Bild"-Zeitung. Die Online-Ausgabe des "Stern" wollte von einem "Insider" erfahren haben, Gabriel werde den Vorsitz "in den kommenden Wochen" hinschmeißen.
K-Frage erst im Mai 2017?
Für zusätzliche Spekulationen sorgte am Sonntag auch ein Bericht der "Bild am Sonntag", dass die SPD ihren Kanzlerkandidaten erst im Mai kommenden Jahres küren wolle - im Lichte der wichtigen Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Gabriel selbst habe das verfügt. Hält er sich damit die Tür für einen - dann allerdings sehr späten - Ausstieg offen? Der Bericht wurde am Sonntag zumindest nicht dementiert.Gabriel selbst ist nach einer Woche auf dem Krankenbett im heimischen Goslar wieder im Einsatz. In Stockholm wollte er am Sonntag Ministerpräsident Stefan Löfven und Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann treffen. Über seine Facebook-Seite forderte er Schuldenerleichterungen für Griechenland, der "Tagesspiegel" verbreitete vorab aus seiner Montagsausgabe Rufe des Vizekanzlers nach Milliarden-Investitionen für Schulen.
Am Montag dann will Gabriel auf einer Parteikonferenz zur sozialen Gerechtigkeit in der SPD-Zentrale mit einer Rede die Arbeit am Wahlprogramm für 2017 einläuten. Sicher ist: Er wird unter besonderer Beobachtung stehen.
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