Umstrittenes NGO-Gesetz: "Chinas Zensur ist eine Klasse für sich"

vendredi 29 avril 2016

Polizisten im Zentrum von Peking

Polizisten im Zentrum von Peking

China schränkt die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen massiv ein. Nicholas Bequelin von Amnesty International erklärt, was Peking damit bezweckt: Abweichler sollen zum Schweigen gebracht werden.

Zur Person
  • Nicholas Bequelin leitet die Regionaldirektion Ostasien bei der Menschenrechtsorganisation Amnesty International in Hongkong.

SPIEGEL ONLINE: Peking hat ein Gesetz erlassen, das die Arbeit regierungsunabhängiger Organisationen strikt reglementiert und der Polizei unterstellt. Welche Folgen hat das für Ihre Arbeit?

Bequelin: Organisationen wie Amnesty International stehen auf dem chinesischen Festland schon heute unter so scharfer Beobachtung, dass das neue Gesetz daran gar nicht mehr viel ändern wird. Wir haben unseren Sitz in Hong Kong. Der Tag, an dem wir auf dem Festland je eine eigene Repräsentanz haben werden wie in anderen Ländern, ist noch sehr weit entfernt. Uns betrifft dieses Gesetzes weniger, als man annehmen könnte.

SPIEGEL ONLINE: Wen betrifft es dann?

Bequelin: Peking unterscheidet sehr deutlich: Es gibt Organisationen, welche die Regierung als nützlich betrachtet - zum Beispiel NGOs, die sich um Bildung und Wissenschaft, um die Umwelt, um Armut kümmern. Und es gibt andere, die sie als gefährlich wahrnimmt, also Organisationen, die Chinas Probleme sehen und enthüllen, die selbst Informationen sammeln und veröffentlichen. Die Regierung will die "Informationslandschaft" in China kontrollieren.

SPIEGEL ONLINE: Warum braucht sie dafür dieses Gesetz?

Bequelin: Das neue Gesetz ist ein Versuch, jede abweichende Stimme zum Schweigen zu bringen. Das ist ein vages Ziel, aber mit diesem Gesetz kann es sehr effizient erreicht werden. Wenn Sie über irgendeinen Aktivisten sagen: "Der steht im Widerspruch zur Partei" - dann ist das nicht sehr überzeugend, selbst in China nicht. Wenn die Partei aber sagt: "Hier gefährdet jemand mit ausländischem Geld unsere nationale Sicherheit", dann ist das sehr überzeugend. Genau darauf hat die Partei die Öffentlichkeit nun über Jahre vorbereitet. Sie hat Aktivisten und Anwälte mit Scheingeständnissen im Fernsehen vorführen lassen und sagte: "Seht doch, der ist ja gar kein Anwalt, der hat etwas ganz anderes vor, er gibt es ja sogar zu!"

SPIEGEL ONLINE: Das heißt, das Gesetz zielt eher auf Chinesen selbst als auf die Ausländer?

Bequelin: So ist es. In China eine NGO zu gründen, ist schon heute außerordentlich schwierig. Sie haben zwei Möglichkeiten: Entweder Sie lassen sich als Unternehmen registrieren - aber dann ist es sehr schwer, Spenden zu sammeln, vor allem wenn es um kontroverse Themen geht. Oder aber Sie bemühen sich um ausländische Spenden. Das soll nun unterbunden werden. Das neue Gesetz soll die Zivilgesellschaft kontrollieren, es soll verhindern, dass sich Leute organisieren, dass sie Missstände enthüllen. Davon gibt es aber viele, und mit dem Rückgang des Wirtschaftswachstums werden es immer mehr.

SPIEGEL ONLINE: Auf ihren Parteitagen hält die Führung nach wie vor an der Öffnungs- und Reformpolitik fest, die vor 30 Jahren begann und das Land mächtig und reich gemacht hat. Wie passt die Verschärfung der Gesetze zu diesem Bekenntnis?

Bequelin: In den vergangenen Jahrzehnten gab es, zumindest offiziell, immer einen Widerspruch über die Frage, was in China von höchstem Rang ist - das Recht oder die Partei? Jetzt löst sich dieser Widerspruch auf. Die Partei hat den höchsten Rang, sie allein entscheidet, was passiert. Deshalb ist die Verschärfung der Gesetze zur Nationalen Sicherheit so bedeutend - ob es um das neue Anti-Terror-Gesetz geht, um das neue Cyber-Gesetz oder die ausländischen NGOs. Wir erleben einen tiefgreifenden Wandel des politischen Systems in China.

SPIEGEL ONLINE: Wie äußert sich dieser Wandel?

Bequelin: Die Partei tritt viel bestimmender auf als vorher, Präsident Xi Jinping setzt stärker denn je auf Repression. Womit er übrigens dem russischen Präsidenten Wladimir Putin gleicht: Es geht ihm ausschließlich um Kontrolle und Sicherheit.

SPIEGEL ONLINE: Nicht nur in Russland und China, auch in Indien, im Nahen Osten, in Südostasien werden Nichtregierungsorganisationen immer strenger reglementiert. Warum ist das so?

Bequelin: Das ist tatsächlich eine globale Entwicklung, und ich erkläre sie mir damit, dass NGOs so stark geworden sind, dass viele Regierungen meinen, gegen sie vorgehen zu müssen. Auch lateinamerikanische Staaten machen das, Ägypten, die Türkei, Vietnam, Kambodscha.

SPIEGEL ONLINE: Ist China dann nur ein autoritärer Staat unter anderen?

Bequelin: China ist, was das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit angeht, eine Klasse für sich. Kein großer Staat schränkt die Zivilgesellschaft, die Bildung von Gewerkschaften, von politischen Parteien, von unabhängigen Menschenrechtsgruppen auch nur annähernd so stark ein. Keiner zensiert die Medien und das Internet so strikt.

SPIEGEL ONLINE: Und doch bricht sich die Kritik, der Witz und der Zynismus vieler Chinesen immer wieder Bahn - bis die Zensur zuschlägt.

Bequelin: Genau das ist das Hauptproblem der chinesischen Regierung - all die Gesetze, die sie jetzt beschlossen hat, auch durchzusetzen. Die Führung weiß, dass das immer schwieriger wird. Die letzten 30 Jahre waren vergleichsweise einfach. Das Land folgte dem Entwicklungsmodell anderer Staaten, die Wirtschaft wuchs, die Menschen durften Firmen gründen, sie wurden wohlhabender. Für das, was jetzt kommt, gibt es aber kein Modell, keinen bewährten Fahrplan mehr. Deshalb diese politische Verhärtung, deshalb diese entschiedene Repression.

Let's block ads! (Why?)

Umstrittenes NGO-Gesetz: "Chinas Zensur ist eine Klasse für sich"

0 commentaires:

Enregistrer un commentaire