Der Niedergang des Nordderbys: Vor ein paar Jahren ging es zwischen dem Hamburger SV und Werder Bremen noch um den Europapokal. Mittlerweile treffen sich die Teams im Abstiegskampf.
Für den Ausgang großer Geschichten sind manchmal kleine Dinge entscheidend. Eine Kugel aus Papier zum Beispiel.
Im Frühjahr 2009 vibrierte der Norden vor Aufregung. Zumindest der Teil des Nordens, der sich für Fußball interessiert. Viermal in 18 Tagen trafen der Hamburger SV und Werder Bremen aufeinander. Zuerst im Halbfinale des DFB-Pokals, dann zweimal im Halbfinale des Uefa-Cups, zum Schluss in der Liga.Die Bremer gingen als Sieger aus den Derby-Wochen hervor, von denen vor allem das Rückspiel im Uefa-Cup in Erinnerung geblieben ist. Das entscheidende Tor beim 3:2-Erfolg für Werder fiel nach einer Ecke, die kurios zustande gekommen war. Hamburgs Verteidiger Michael Gravgaard wollte den Ball zu seinem Torwart Frank Rost zurückspielen. Doch wegen einer Unebenheit auf dem Rasen sprang der Ball ins Aus.
Die Unebenheit waren die Reste einer Fan-Choreografie zu Spielbeginn. Eine auf den Rasen geworfene Papierkugel.
Beim anschließenden Bundesliga-Spiel ließen Werders Anhänger einen riesigen Klumpen aus Papier über ihre Köpfe wandern, um den HSV zu verspotten. Die Original-Kugel liegt heute im Vereinsmuseum der Bremer. Sie ist zum wichtigsten Artefakt der langen Geschichte des Nordderbys geworden - und markiert gewissermaßen den Beginn des Niedergangs, den das Duell zwischen Hamburg und Bremen in den vergangenen Jahren erlebt hat.
Oft ging es zwischen den beiden großen Nordklubs um Titel oder den internationalen Wettbewerb. In der Frühphase des Derbys, zu Zeiten der Oberliga-Nord, war Werder der schärfste Kontrahent des Dauermeisters aus Hamburg. "Der Trainer hatte uns vorher schon eingenordet. Da hieß es: Hör zu, heute gegen den HSV muss volle Pulle gespielt werden. Da wird nicht rumgedaddelt!", hat die im vergangenen Jahr gestorbene Werder-Legende Pico Schütz einmal berichtet. 2006 trafen sich Werder und der HSV am letzten Spieltag immerhin noch zum Finale um den direkten Einzug in die Champions League. Bremen gewann 2:1.
Nach den norddeutschen Festspielwochen 2009 ging es bergab mit den beiden Vereinen. Die Hamburger, immerhin sechs Mal Deutscher Meister, sind zum Synonym für Größenwahn und falsches Management geworden, zum dritten Mal nacheinander droht die Relegation.
Werder, viermaliger Titelträger, hat nach den fetten Jahren des Europapokals eine Schlankheitskur hinter sich und ist ebenfalls zum Dauergast im Tabellenkeller geworden. Das Nordderby ist zum Not-Derby geworden. Zu einem Spiel, das von Erinnerungen lebt und von den Emotionen der Fans. Von sportlicher Klasse lebt es nicht.
Das Relegationstriple ist eine realistische Option
Bei der 104. Ausgabe an diesem Freitag (20.30 Uhr, High-Liveticker SPIEGEL ONLINE) steht für beide Mannschaften so viel auf dem Spiel wie lange nicht.
Die Bremer haben neuen Mut im Abstiegskampf gewonnen mit dem Sieg gegen Wolfsburg und dem ordentlichen Pokal-Auftritt in München . Mit einem Sieg gegen den HSV würden sie vorübergehend den Relegationsplatz verlassen.
Die Hamburger sind gerade dabei, eine über weite Strecken passable Saison im gewohnten Fiasko enden zu lassen. Nach den jüngsten Niederlagen gegen Darmstadt und die B-Elf von Borussia Dortmund ist der Vorsprung auf den gefürchteten 16. Rang auf drei Punkte geschmolzen. Das Relegationstriple ist eine realistische Option für den HSV.
Für beide Mannschaften hat das Derby wegweisenden Charakter im Kampf um den Klassenerhalt.
Die Rahmenbedingungen sind brisant. Das Spiel findet abends statt, wenn es dunkel ist im Umfeld des Stadions und rivalisierende Fan-Gruppen schwerer zu kontrollieren sind als bei Tageslicht. Zudem überraschte der DFB mit der Schiedsrichter-Ansetzung, indem er Manuel Gräfe mit der Partie betraute.Ausgerechnet Gräfe, der den Hamburgern in der vergangenen Saison im Relegations-Rückspiel beim Karlsruher SC in der Nachspielzeit einen höchst umstrittenen Freistoß zusprach. Ohne diesen Freistoß und dem daraus folgenden Tor durch Marcelo Díaz würde der HSV nicht mehr in der Bundesliga spielen. Ohne diesen Freistoß würde es in dieser Saison kein Nordderby mehr geben.
Noch so ein Beispiel, dass manchmal kleine Dinge entscheidend sind für den Ausgang großer Geschichten.
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