Juno Vai schreibt auf der Elterncouch im Wechsel mit Theodor Ziemßen und Jonas Ratz.
Wie zofft sich Ihr Kind? Ist es aggressiv, schnell beleidigt oder brav? Alles schlechte Varianten, sagt eine Psychologin. Sie schlägt eine vierte vor.
Ich liebe US-Psychologen für ihren Pragmatismus. Ihre Gradlinigkeit, die Fähigkeit, auch dem Laien in sehr einfachen Worten klarzumachen: Jedes, absolut jedes Problem ist lösbar. Und zwar SO.
Gerade neulich fiel mir ein Artikel aus der "New York Times" in die Hände. Darin erklärte eine Psychologin aus Ohio wie man am besten mit Teenagern streitet . Laut Lisa Demour gibt es vier Verhaltensmuster, zu denen Heranwachsende bei Auseinandersetzungen tendieren:
1. Sie greifen an.
2. Sie ziehen sich zurück.
3. Sie sind folgsam.
4. Sie lösen das Problem.
Ich habe eigentlich gar keinen echten Zoff mit meiner Tochter. Sie ist zwölf und läuft sich gerade erst warm für die echte, die richtig fiese Pubertät. Dennoch gehen wir uns ab und zu so richtig auf den Sack. Am häufigsten, wenn wir zusammen für Arbeiten lernen und sie der Meinung ist, dass ich alles falsch erkläre, sie zu etwas zwingen will und überhaupt das inkarnierte Böse in der Welt bin. Dann wird Vic erst aggressiv, geht dann in eine Verweigerungshaltung und lenkt kurz darauf wieder ein (siehe Punkte 1,2 und 3).
Eine semi-kriminelle, bipolare, Angstneurotikerin?!
"Heranwachsende, die Streit anfachen (1) oder vermeiden (2), gehören zu denen, die mit höherer Wahrscheinlichkeit depressiv werden, ängstlich oder straffällig", lese ich bei der US-Expertin Demour. "Aber selbst solche Teenager, die einlenken, indem sie einfach dem Wunsch der Eltern folgen (3), leiden später zu einem großen Teil unter Stimmungsschwankungen."
Okay, denk ich, Vicky wird mal eine semi-kriminelle, bipolare Angstneurotikerin. Mit ab und zu echt schlechter Laune.
So einfach ist es natürlich nicht. Tatsächlich will die Psychologin auf Folgendes hinaus: Nur wenn Kinder lernen, Punkt 4 zu beherzigen - nämlich ein Problem zu lösen, anstatt es zu eskalieren, zu negieren oder von anderen lösen zu lassen - werden sie psychisch unbeschadet aus den Konflikten der Pubertät hervorgehen. Und es schaffen, später glückliche Freundschaften und Liebesbeziehungen zu haben.
Und wie bitte soll das gehen? Vics Probleme haben eine Halbwertzeit von einem halben Tag, ihre Wutanfälle dauern etwa fünf Minuten, Kritik wird als vernichtende Kränkung empfunden. Sie kann sich stundenlang mit ihrem Bruder streiten, aber wenn die Eltern es tun, schreit sie "Aufhören!"
Die Psychologin meint, konstruktives Streiten hänge ganz wesentlich von der Fähigkeit des Jugendlichen ab, seine eigene Perspektive zu verlassen, und die des anderen einzunehmen. Empathie als Problemlöser - das klingt erstmal ziemlich banal. Tatsächlich aber schaffen es Teenager schon physiologisch besser als jüngere Kinder, sich in jemanden hineinzufühlen, weil Gehirnregionen, die für abstraktes Denken zuständig sind, bei ihnen besser entwickelt sind.
"Du musst sie ja nicht essen, du Blödmann!"
Ich teste das sofort am Küchentisch. Es ist ein Tag vor Ostern, und Vic kündigt fröhlich an, für alle Schokoladen-Muffins backen zu wollen. "Bah, da wird einem wieder voll schlecht, weil die so süß sind", lästert mein Sohn. Vito hat irgendwann mal eine Dokumentation namens "Zucker, der weiße Tod" oder so ähnlich gesehen. Seitdem findet er es wichtig, Süßmittel lauthals zu verdammen (was ihn nicht davon abhält, sie weiter zu konsumieren).
"Du bist so fies", schreit Vic. Und legt nach: "Du musst sie ja nicht essen, du Blödmann!" (siehe Verhaltensmuster 1) Vito setzt seine "Ich-wollte-das-nur-mal-feststellen-Miene" auf. Die Tochter rauscht beleidigt davon (2). Meine Stunde ist gekommen: "Vito", sage ich, "stell dir mal vor, du würdest mir was zu Ostern schenken, was ganz Tolles, und ich sag dann: Jaja, ganz nett, aber ich krieg doch sowieso jedes Jahr was zu Ostern. Würde Dir das gefallen?"
"Nein", sagt der Sohn und macht ein nachdenkliches Gesicht. "Interessant", überlege ich, "manchmal sind die naheliegenden Dinge die effektivsten, man vergisst sie einfach mit der Zeit." Man vergisst auch die gute, alte Vorbildfunktion: "Erwachsene, die sich bewusst in die Welt ihrer Teenager versetzen, bekommen in der Regel Kinder, die ihnen den gleichen Gefallen tun", verspricht die US-Psychologin.
Ich werde das also weiter "aktiv umsetzen", wie es so schön heißt. Und akzeptieren, dass meine Tochter längst ihr ganz eigenes Verhaltensmuster kreiert hat: Sie begreift Streitkultur vorrangig sportlich. "Mami", erklärt sie mir, als ich sie auf das Thema anspreche, leicht tadelnd, "Kinder genießen das einfach, wenn sie sich mal zoffen können. Das ist wie ein Wettkampf." Und wer gewinnt, hat Recht.
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Juno Vai,Michael Meißner
Mutter von Vic (12) und Vito (9)Liebstes Kinderbuch: der Pinguin-Comic von meinem Sohn
Nervigstes Kinderspielzeug: alles mit komplizierten Anleitungen
Erziehungsstil: Liebe, Verlässlichkeit, Respekt
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